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El Gran Sofa

Robert Beckert • Nov. 24, 2022

„Das große Sofa“ durch die Augen Luis Lamothe Duribes

„Ich möchte es Menschen überlassen, ihre eigenen Farben in meine Werke zu bringen.“ Lamothes Antwort auf meine Frage, wieso seine Werke alle in schwarz-weiß gehalten seien.

Sein monumentales Werk „El gran sofa“ ist somit keine Reduktion, keine Vereinfachung. Es besteht aus 50 Einzelstücken. Aneinandergereiht ergibt das ca. 45 Meter. 45 Meter bilden das Leben an dieser etwa 8 Kilometer langen Uferpromenade ab.


Lamothe hat dieses Werk 2008 dem Kubanischen Volk gewidmet für „die Geschichte der vergangenen 50 Jahre“. Das war also zum fünfzigsten Jahrestag der Revolution, welche unter der Führung Fidel Castros 1958 in Santiago de Cuba begann. Die Revolution richtete sich gegen die durch Fulgencio Batista mit einem Militärputsch errichtete Diktatur. Das sind die historischen Fakten.

Die Widmung ist politisch. Ich denke, sie kann nicht anders als politisch gemeint sein, denn sie bezieht sich auf den Zeitraum, welcher mit dem einschneidenden Ereignis des Versuchs einer politischen Einflussnahme - einer Revolution - begann.

Ich möchte keine tiefere politische Aussage oder Schlüsse ziehen, ich beschreibe lediglich den Zusammenhang, der durch Lamothe selbst hergestellt wurde. Die Widmung Lamothes gibt heute, 13 Jahre nachdem ich ihn kennenlernte und 14 Jahre nach seiner Entstehung, neue Impulse des Verständnisses.

„Malecón“ bezeichnet eine Ufermauer aus Stein, meist in Verbindung mit einer Uferstraße auf einem Steindamm. „El gran sofá“ bezeichnet liebevoll den Ort, an welchem sich Menschen in Havanna gerne aufhalten, an der Uferpromenade, dem „malecón“ von Havanna.
 
Die Menschen in Havanna genießen also den Aufenthalt auf diesem großen Sofa. Sie haben ihn jedoch auch als Ort in Erinnerung, der mit politischen Unruhen von 1994 verbunden ist.

Insofern ist das nicht einfach nur ein Sofa, auf welchem Menschen Kommunikation, Ruhe und Entspannung finden. Auf einem Sofa kann viel mehr geschehen, von einem Sofa kann viel mehr ausgehen.
 
Dieser Subtext gepaart mit den Szenen, welche Lamothe in seinen Linolschnitten festgehalten hat, mit seinem Wunsch, Menschen mögen eigenständig ihre eigenen „Farben“ in seinen Werken sehen, ist aus meiner Sicht das Geniale insbesondere an diesem Werk.


Das Werk enthält Geschichten und bildet Geschichte gleichermaßen ab.

01 Juli, 2023
Wir laden immer wieder Menschen ein, sich eine Geschichte zu einem von Lamothes Bildern auszudenken. Toll, wie viele unterschiedliche Ideen da zusammenkommen! Wim Schulz hat uns solch eine Geschichte geschrieben und zur Verfügung gestellt. Lest selbst: Catalina, Estefania und Juana sitzen im Sternenglanz an der Strandpromenade. Hören wir Ihnen ein wenig zu: „Auf Dein Wohl, Fanny!“ „Ja, auf Dein Wohl! Und immer gute Fahrt auf freien Straßen.“ „Danke Mädels. Es war ein gutes Stück Arbeit. Zwischendurch habe ich schon gedacht, ich schaff das nicht. Aber dann war die Prüfung da und ich bin einfach losgefahren, ohne darüber nachzudenken. Plötzlich sagte der Prüfer: „Vielen Dank, Sie haben bestanden!“ Da löste sich alle Anspannung in mir und ich habe vor Freude geweint. Und jetzt habe ich den Führerschein!“ „Klasse! Meinst Du, Amadeo wird Dich mit seinem Auto fahren lassen?“ „Nicht die Bohne. Der Hurensohn ist vor einer Woche ausgezogen. Ich habe ihm seinen Krempel nachgeworfen, dann ist er mit seinem Angeberschlitten abgedüst. Der hat bei mir verschissen bis in die Steinzeit.“ „Wie? Amadeo hat Dich verlassen? Erzähl! Warum, wieso, weshalb?“ „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich war ihm nicht mehr gut genug. Mit mir konnte er bei seinen Kumpels nicht richtig angeben. Er hat jetzt eine Schicky-Micky-Tussie mit Pferdearsch und Körbchengröße E.“ „Mist! Jetzt hast Du die Pappe, aber das Auto ist weg. Andererseits, Amadeo ist kein großer Verlust. Du hast ihm den Haushalt gemacht und das Bier kalt gestellt. Du wirst was Besseres finden.“ „Ja schon. Aber wenn er wollte, war es echt schön mit ihm. Abends, wenn ich allein bin und an die Zimmerdecke starre, vermisse ich ihn.“ – seufz – „Nun mal keine Schwachheiten, Estefania! Er hat Dich für eine Tuschkasten-Tussi verlassen. Dem würde ich keine Träne nachweinen. Und einen Lover, der sein Handwerk versteht, findest Du ganz sicher wieder. Also Kopf hoch und ran ans Werk. Jetzt hast du den Führerschein. Den hast Du ganz allein aus eigener Kraft und Willen gemacht.“ „Ju, Du hast recht. Und ein Auto habe ich auch schon.“ „Hey, wie das?“ „Meine Mutter fährt nicht mehr Auto. Mit 87 fühlt sie sich nicht mehr sicher. Ich bin zweimal die Woche bei ihr. Da hat sie gesagt, ich soll jetzt ihr Auto fahren. Aber was ist bei Euch los? Cata, bist Du noch mit Ricardo zusammen? Letzten Monat hörte sich das nach Krise bei Euch an.“ „Ach Fanny, wir streiten uns fast jeden Tag. Er hängt von morgens bis abends nur noch auf dem Sofa rum. Tagsüber mache ich die Putze und abends soll ich seine Diva sein. Seine Faulheit kotzt mich an. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann er sich das letzte Mal für irgendetwas Mühe gegeben hat. Jetzt habe ich ihm ein Ultimatum gesetzt. Er hat noch zehn Tage Zeit, sich zu ändern. Aber er hat mich nur beschimpft, was ich mir einbilde, ich sei doch nur eine dumme Göre und ich solle froh sein, dass mich überhaupt einer anguckt.“ „Na, den hätte ich schon längst rausgeschmissen. Was bildet sich dieser Kackstiefel eigentlich ein? Vor drei Jahren warst Du doch begeistert von ihm.“ „Stimmt. Vor drei Jahren hatte er noch einen Job als Elektriker. Das hatte er einmal gelernt. Aber dann ist die Firma pleite gegangen. Der Chef hat die Lohngelder geklaut und die Arbeiter standen mit leeren Taschen auf der Straße. Seitdem ist ihm alles egal, vermutlich ich auch. Rausschmeißen kann ich ihn nicht. Die Wohnung gehört seiner Mutter.“ „Und was willst Du in 10 Tagen machen? Du glaubst doch nicht etwa, dass er in letzter Minute die Kurve bekommt?“ „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber ich habe einen Plan B. Ihr kennt doch Mateo vom Sozialzentrum. Bei ihm kann ich erstmal unterkommen. Einen Job in der Gemeindeküche hat er auch für mich. Er kann nicht viel bezahlen. Aber ohne die Miete reicht es erstmal. In einem halben Jahr sieht die Welt anders aus.“ „Mateo kenne ich. Das ist schon ein attraktiver Kerl. Bei ihm mietfrei unterkommen, das hört sich eher so an, als ob Du die Miete abschlafen müsstest.“ „Ja, habe ich auch erst gedacht. Wobei, Mateo wäre sicherlich keine schlechte Wahl. Aber ich habe herausbekommen, er ist schwul. Aber das darf keiner wissen. Sonst würde eine Hexenjagd beginnen. – Und ich ziehe auch nicht zu ihm in die Wohnung. In der Via Blanca hat er ein Wohnhaus. Dort ist in einer Frauen-WG ein Zimmer frei.“ „Das hört sich schon besser an. Ich wünsch Dir viel Glück und alles Gute! Und wenn Du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ „Klaro, ich helfe Dir natürlich auch. Ich kann Dir sogar etwas Geld geben. Ich habe gerade einen guten Job in einer Parfümerie. Wenn ich teure Parfüms verkaufe, bekomme ich Extraprämien. Irgendwie habe ich es drauf, den Edelmiezen die teuren Flakons anzudrehen. Bezahlen tun natürlich ihre Macker. Die wollen sich nicht lumpen lassen.“ „Danke Mädels für Eure Hilfe. Ich weiß. Auf Euch kann ich mich verlassen. Aber sag, Ju, warst Du nicht auch einmal mit so einem Typen aus ner Muckibude zusammen? Der hatte doch einen roten Sportwagen.“ „Stimmt, Cata. Das war Emilio. Der war ein echter Blender. Mit seiner charmanten Art hat er mich rumgekriegt. War schon toll, einen starken Beschützer an der Seite zu haben. Mit der Zeit kehrte sich aus dem Beschützer der Aufpasser hervor. Außerdem war er im Bett eine hohle Nuss. Nach fünf Minuten war er durch und ist eingepennt. Erst dachte ich, ich mache da was falsch. Aber eine seiner Exen hat mir die gleiche Story erzählt. Da habe ich die Reißleine gezogen. Mit mir nur noch auf Augenhöhe. So ein Windhund kommt mir nicht mehr an den Tisch und ins Bett.“ „Also, wenn ich uns so zuhöre, frage ich mich: Sind alle Männer so? Oder haben wir nur Pech gehabt?“ „Nein, nein. Männer sind wie öffentliche Toiletten. Entweder besetzt oder beschissen. Ich möchte es ihnen gerne einmal zeigen, dass man mit uns nicht machen kann, was Mann will. Seht Ihr die Villa dort drüben? Mateo hat mir erzählt, sie steht leer und zum Verkauf. Wenn ich sie kaufen könnte, würde ich dort ein Frauenzentrum einrichten. Zwanzig Zimmer soll sie haben. Da könnte ich zwanzig Frauen eine Zuflucht bieten. Und zwanzig Fastidos wären außen vor.“ „Ja, man müsste es diesen Machos, Unterdrückern und Faulpelzen richtig heimzahlen und ihnen zeigen, wo unsere Hämmer hängen. Aber woher sollen wir das Geld nehmen? Mit meinem kleinen Sparbuch komme ich da nicht weit.“ „Cata, Du sagst es: heimzahlen! Bezahlen müssen sie, und das nicht zu knapp. Habt Ihr schon mal als Escort-Lady gearbeitet? Geschäftsleute bezahlen gut, um mit Euch auszugehen. Wir sollten so einen Begleitservice aufmachen. Und von den Einnahmen kaufen wir die Villa.“ „Nette Idee. Aber nach dem Abendessen musst Du mit Ihnen aufs Hotelzimmer. Und wenn Du Pech hast, gerätst Du an ein perverses Schwein.“ „Hotelzimmer kostet extra. Sag Fanny, wie oft warst Du schon mit einem Typen im Bett, ohne Spaß dabei zu haben? Und was hast Du davon gehabt außer Eiweißflecken im Laken? Pervers machen wir nicht. Ordentlich vögeln gegen Vorkasse aufs Konto ist für mich OK. Keine von uns ist allein, immer wissen die anderen beiden von den Dates. Mit einer Standort-App auf dem Smartphone sichern wir uns gegenseitig ab. Also, was haltet Ihr davon?“ „Ju, an Deinem Vorschlag ist was dran. Nicht nur einmal habe ich den Arsch hingehalten und war am Ende die Angeschmierte. Und Fanny, ich erinnere mich noch gut an den Typen, der Dir vor Jahren regelmäßig den Hintern versohlt hat, wenn er besoffen war. Du hast ihn angezeigt und die Bullen haben sich darüber schlapp gelacht. Wir müssen für Frauen-Gerechtigkeit selbst sorgen. Und die Männer müssen dafür bezahlen. Ich mache mit, ich will die Villa!“ „Hmm, mir ist die Idee nicht ganz geheuer. … Ihr habt natürlich recht. Zuviele Männer springen mit uns um, als ob wir Allgemeingut für ihre Schlafzimmer wären. Ich habe mich übrigens für einen Selbstverteidigungskurs angemeldet. Nächste Woche geht es los. Bitte kommt mit, dann weiß ich, wir können das schaffen. Wenn wir fest zusammenhalten, ist mir auch nicht bange vor ein paar Ohrfeigen. Aber bezahlen müssen die Kerle dafür. Und wie Du sagst, Vorkasse. Ich höre schon die Lieder der Frauen in der Gemeinschaftsküche der Villa und sehe ihre Kinder im Garten spielen.“ „Abgemacht. Cata, Fanny, wir machen das. Wir treffen uns nächsten Sonntag bei mir und setzen den Zug aufs Gleis. Zum Selbstverteidigungskurs komme ich natürlich auch. Komm, gieß nach, wir trinken auf unsere Zukunft und die Frauen!“ Mit ihrem Toast auf das Projekt verlassen wir die drei besten Freundinnen. Ob ihr Projekt erfolgreich wird und sie die Villa kaufen werden? Copyright Wim Schulz, Berlin, 2023.
von Wiebke Schulz 16 Apr., 2023
Luis Lamothe Duribe hatte Glück. Er bekam immer wieder die Erlaubnis, Kuba zu verlassen, um seine Kunstwerke in Mexiko und in Europa zu zeigen. Diese Reisen waren immer enorm wichtig für ihn. Hier wollen wir euch die Sicht des Journalisten Rolf-Dieter Diehl zugänglich machen. Ganz wunderbar beschreibt er, was in Lamothes Bildern zu finden ist und welche Wirkung sie auf den Betrachter haben können, der sich auf sie einlässt. Den gesamten Artikel kannst du hier öffnen und lesen.
von Wiebke Schulz 28 Nov., 2022
Was mit mir passiert ist, als ich die Werke von Lamothe katalogisierte: Das war spannend. Als ich seine Bilder vor ein paar Jahren zum ersten Mal sah, sprachen sie mich nicht besonders an. Zu dunkel war mir diese schwarze Linolschnitt-Ästhetik, zu merkwürdig die Gesichter, zu krakelig die Linien. Doch dann sah ich genauer hin. Ich las die Titel der Bilder. Ich sah Details. Und ich musste schmunzeln. Szenen kubanischen Lebens – Menschen in ihrem Alltag So schön beobachtet waren die Szenen! Und so liebevoll wiedergegeben. Der leise Humor, der in den Szenen liegt. Die Eigenheiten des Menschen, Alltagsgefühle, die jeder kennt – unabhängig vom Kontinent. Und sicher auch kubanische Eigenheiten, die ich gar nicht erkennen kann, weil ich Kuba nicht kenne. Doch ich kann sie erahnen. Und das macht unheimlich viel Spaß. Es bereitet mir helle Freude, mir jedes einzelne Bild anzuschauen und in die Szene einzutauchen. Ich sehe Lamothe förmlich vor mir, wie er am Malecón sitzt, die Menschen beobachtet und konzentriert seine Skizzen anfertigt. Ich habe keine Ahnung, wer Lamothe wirklich war. Aber durch seine Bilder und durch die Geschichten, die mir Kaisa und Robert erzählen, bekomme ich eine Vorstellung. In meinem Kopf entsteht ein Mensch, der die Menschen liebte. Und der mittels der Kunst das Menschliche zeigen wollte. Der sich selbst nicht zu wichtig nahm. Und sich das ein oder andere selbstironische Selbstporträt in seinem Werk findet (wie zum Beispiel „El maratón esfuerzo“ – Lamothe an seinem 50. Geburtstag im Running Outfit). Viele Bilder sprechen mich nun tatsächlich emotional sehr an. Es entspinnen sich Geschichten in meinem Kopf. Ich fühle mit den Figuren. Ich sehe den kecken Gesichtsausdruck der „Provocadora“, die am Kiosk mit dem Verkäufer flirtet und muss schmunzeln. Ich freue mich mit den zwei Kumpels, die auf der Mauer ein Fläschchen Rum leeren - „En compaña del ron“ eben. Ich habe Mitleid mit „Henri“, der abseits der plaudernden Grüppchen sitzt und muss fast lauthals lachen, wenn mein Blick auf den betrunkenen „Borracho.com“ fällt! In manchen Werken meine ich, auch politische Botschaften zu entdecken. Doch um diese wirklich zu verstehen, muss ich erst noch ein wenig tiefer eintauchen in diese Materie. Momentan erfreue ich mich an dem liebevollen Blick auf den Menschen. (Und ganz nebenbei liebe ich die Haptik dieser Bilder: das feste Papier, die raue Druckerschwärze, das fühlbare Profil der Linien – das ist echte Handarbeit!) Kunst in Kuba ist sicher nicht einfach Ich stelle mir all diese Szenen immer vor dem Hintergrund vor, dass Lamothe aus Kuba kam und die meiste Zeit dort lebte und arbeitete. Zensur und schwierige Lebensverhältnisse haben ihn nicht davon abgehalten, all diese kleinen Geschichten zu erzählen. Sein Glaube an die Kunst hat ihm die Kraft gegeben, auch außerhalb der Grenzen Kubas bekannt zu werden. Ich stelle es mir jedenfalls so vor, dass Durchhaltevermögen, Talent und Überzeugung, vielleicht auch etwas Glück und ich glaube auch sein Charakter, ihm dazu verholfen haben, seinen Weg zu gehen. Bei meinen ersten Recherchen zum Thema Kunst in Kuba habe ich diesen Absatz gefunden: „Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden“ Der Kurator der Havanna-Biennale in Kuba Nelson Herrero Ysla sagt in einem Interview des Deutschlandfunks: „Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden, an die soziale, politische und wirtschaftliche Realität. Bei uns bestimmt nicht der Kunstmarkt, was für Kunst entsteht. Kubanische Künstler handeln auf Grund der Weltlage, durch die amerikanische Einmischung und den Boykott stehen wir immer unter Druck. Aber wir haben auch sehr viel Humor in der Kunst und sogar in der Kunstkritik. So ernst wir auch sein mögen, am Ende kommt immer ein Scherz, eine Wendung ins Komische oder Absurde, sonst sterben wir einfach vor Langeweile.“ Genau so habe ich es empfunden, als ich begann, in Lamothes Werk einzutauchen. Lamothe, das ist dir großartig gelungen. Ich ziehe meinen Hut!
von Robert Beckert 20 Nov., 2022
Ich war zutiefst beeindruckt, als ich Lamothe 2009 in München bei der Arbeit an diesem Riesengemälde sah: die so eigenwilligen und sehr charakteristischen Figuren, komplett in Schwarzweiß gehalten, auf die Plane eines großen LKW gemalt. Ein Treffen in der lateinamerikanischen Szene Münchens 2009 nahm ich als Fahrer des FICCU-LKW an der Durchführung des von Elvira Rodriguez-Puerto initiierten und organisierten Kubanischen Filmfestivals in München teil. Ich war damals viel mit Menschen aus Lateinamerika unterwegs. Mit Elvi (Elvira Rodriguez-Puerto) verband mich eine künstlerische Zusammenarbeit über mein damaliges Musik-Projekt „car.dio“. Und das von ihr im Zweijahresrhythmus organisierte „Festival del cine Cubano“ („Ficcu“) suchte einen LKW-Fahrer. Ich habe einen LKW-Führerschein und ich fand es spannend, auf diesem Wege Insider des FICCU zu werden. Und so lernte ich Lamothe kennen. Er wurde eingeladen, seine Werke (Linolschnitte) im Rahmen des Festivals auszustellen. Darüber hinaus sollte er die Plane eines 7,5t-LKW gestalten – das war ein riesiges Werbebanner, das ich sodann in München und Umgebung umherfuhr, um das FICCU zu promoten. Ich hatte bis dahin weder jemals von Lamothe gehört, noch war mir klar, was ein Linolschnitt ist und schon gar nicht hatte ich jemals eines seiner Werke gesehen. Doch Kuba interessierte mich, denn Kuba war damals noch ein sozialistisches Land, ist es heute noch. Ich selbst stamme aus Rumänien. Meine ersten 16 Lebensjahre verbrachte ich im kommunistischen Rumänien während der Diktatur Nicolae Ceausescus. Mich interessier/t/en diese Menschen, die Kunst in einem Land schaffen, welches – gelinde gesagt - mit seinen Bürgern nicht gut umgeht. Lamothe kam also nach München und brachte seine Werke mit, die er hier ausstellen sollte. Das sicherlich interessanteste Werk seines Schaffens ist das fünfzigteilige „Große Sofa“ - „El gran sofa“. Das ist die Bezeichnung für den „Malecón“, die Uferpromenade in Havanna, auf der sich das Leben Havannas abspielt. Die Menschen sitzen nicht daheim auf dem Sofa, vor dem Fernseher mit Bier und Chips, nein, sie gehen aus, ihr Sofa ist der Malecón, diese Promenade. 50 Bilder, jedes 70x90 cm, insgesamt also 45 m lang. Ein Werk „… das ich der Aufopferung des Kubanischen Volkes in den letzten fünfzig Jahren widme…“ sind seine Worte dazu. Siempre para el arte! Wir verstanden uns auf Anhieb. Er, der Maler und ich, der Musiker. Unsere gemeinsame Devise war in den folgenden Jahren: „Siempre para el arte!“ (immer für die Kunst!). Bei diesem Aufenthalt übergab er mir einen großen Stapel seiner Bilder, die er aus Kuba mitgebracht hatte mit dem Wunsch, diese gemeinsam auszustellen und zu verkaufen. Diesem Wunsch komme ich seit dem nach. Wir blieben in Verbindung, über Facebook, ab und an hatte er noch Europa besucht, Ausstellungen in Frankreich und der Schweiz gemacht. Als ich ihm im Sommer 2020 zu seinem 58sten Geburtstag gratulieren wollte, kam es nicht mehr dazu – völlig unerwartet starb er an einem Herzinfarkt in Mexiko.
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